klein-versailles

 

 

Als Johann Albrecht von Steiger die Villa Mettlen in Muri um 1750 erbauen liess, wollte er mit der Anlage eine Art Klein-Versailles nachempfinden. Dazu gehörte auch der Teich, bei dem es sich um eine offensichtliche, wenn auch viel kleinere Kopie des berühmten «Bassin d’Apollon» im Schlosspark von Versailles handelt.Während jener mächtige Brunnen ganz auf die Skulptur des Apoll im Sonnenwagen, aus deren Mitte Wasser in die Höhe schiesst, ausgerichtet ist, muss die Version von Muri bei Bern ohne den griechischen Gott auskommen. Bis November ist diese Leerstelle mit der Arbeit «Boye», eine Art monumentale Seerose, besetzt. Inszenierte der Auftraggeber des Versailler Originals, König Ludwig XIV., mit der Bezugnahme auf Apoll – den griechischen Gott des Lichtes, der Heilung und des Frühlings – sich selbst, ersetzt die Brunnenfigur «Boye» subtil die Anmassung des französischen Sonnenkönigs. Und suchte sich Ludwig XIV. in der Annäherung an Apollo in den Stand des Göttlichen zu heben, kontert die schwimmende Figur mit einer Referenz ans Florale, zerlegt mit einer Wasserblume den Mythos des Heldischen. Kontrastreich hebt sich die rosa Skulptur vom Grün des Parks ab und markiert ihre eigenständige Position. Der Verweis auf das Männliche ist tief und tragend. Denn betrachtet man das rosa Objekt genauer, transformiert sich die florale Struktur nach und nach in eine menschliche. Die Seerose entpuppt sich als ineinander verschlungener Körperring. Männertorsi – Gesässe, Rücken, Beine – sind zu einem Kreis verwoben. Das Heroisch-Göttliche findet sich damit in einem Blütenring wieder, aus dessen Mitte die Fontäne des Parkweihers von Klein-Versailles in die Höhe schiesst.

 

boye

boye 2003

In den Hang gebettet auf einer Terrasse zum Freudenberg hinauf, hoch über den Türmen des Klosters und der Stadt liegen die Drei Weiern – St.Gallens beliebtester Naherholungsort. Allwettertauglich und ganzjahresbesucht zwar, liegt die hohe Zeit der Drei Weiern im Sommer und werden diese zum Ort der St.Galler Sonnen-, Bade- und Zeigefreuden. Dann tummelt sich hier Jung und Alt, wetteifern die Kopfsprünge, wagen sich die ersten Küsse – hier kehren sich die Leiber an die Luft.

Die „Boye“ liegt im Mannenweier. Fest verankert, in sich ruhend, nur vom Wind zu leisen Pirouetten getrieben, erinnert sie aus der Ferne an eine überdimensionierte Seerose, rosa und barock – und ist doch ein künstlicher Körper. Nähern sich ihr die Badenden, setzt eine Wandlung ein, gewinnt die „Boye“ mit verlorener Distanz zunehmend anthropomorphe Formen. Schon schwingen sich die Schwimmenden auf sie. Wie auf einem schaukelnden Rettungsring sitzend und sich an sie klammernd, werden jetzt ihre Rundungen und Wölbungen spürbar, schmiegt sich ihre glatte Oberfläche an Menschenhaut. Jetzt entpuppt die „Boye“ sich als ein Ring ineinander verschlungner Männertorsi – ineinander fliessende Gesässe in passender Umgebung: Mannenweier. So lädt die „Boye“ ein zum haptischen wie intellektuellen Dialog zwischen Nähe und Distanz, reizt zu Betrachtung und Eroberung.

notiert: Markus Wehrli

Dokumentation PDF